Ok Piety, du hast recht, ich muss mich präzisieren. Ich hatte die Bilder von 2002 vor Augen und damals wurde der Goitzsche Tagebau innerhalb von 2 Tagen geflutet. Also Frage (wenn der jetzige Deichbruch an ungefähr der selben Stelle ist): Wieso keine Siel (Poldertor)?
Da musst Du jemanden Fragen, der Dir das beantworten kann.
Das Problem, wenn ich mich aber richtig entsinne, ist in Bitterfeld, dass der Goitzsche See zuviel Wasser aufnimmt. Zudem muss man sagen, dass 2002 Bitterfeld teilweise trotz des Vollaufens teils überflutet wurde. Der Sollwasserstand wurde um über 3 m übertroffen. Jetzt, heute, kann das Gebiet nicht mal annähernd soviel Wasser aufnehmen (da ja schon voll).
Ob es noch weitere Tagebaugruben (leere) gibt - keine Ahnung. Die allerdings müssten dann aber auch aufgrund einer natürlichen Umgebung so liegen, dass sie auch richtig volllaufen können.
Und deine Berechnungen in allen Ehren. Aber, es geht um das Kappen des Scheitels der Flutwelle und damit mitnichten den kompletten Wasserdurchgang des Flusses.
Da hast Du natürlich recht. Guter Punkt...machen wir damit weiter und gucken mal gerne eine vereinfachte Variante für den Scheitelpunkt an.
Dabei ist die wichtigste Prämisse - man weiß, wann der Scheitelpunkt kommt. Hier am Rhein haben sie sich um gut 48h vertan.
Nehmen wir an, dass das Wasser linear steigt und fällt, gleichmäßig. Ist zwar nicht entsprechend der Realität, denn der Höchststand hält in der Regel länger als nur eine Sekunde, aber alles andere ist komplexer zu berechnen.
Zweite Vereinfachung; wir nehmen an, dass die Wassermenge gleichmäßig zunimmt (also quasi ein rechteckiger Kanal). Dabei lassen wir außer Acht, dass die Wassermenge im Querschnitt eines Flusses mit jedem cm Höhe überproportional steigt, weil es sich immer weiter ausbreitet. Kurz bei einem Fluß mit Hochwasser von steigt der Durchfluß pro jeden weiteren cm nicht um die gleiche Menge, sondern die nimmt zu.
Dritte Vereinfachung; der Polder kann sehr exakt geöffnet werden ab einem bestimmten Stand, muss also nicht die ganze Wassersäule sondern kann nur die Spitze aufnehmen.
Vierte Vereinfachung; wir können die Spitze exakt in Zeitpunkt und Dauer vorhersagen.
Fünfte Vereinfachung; der Anstieg des Wasser übersteigt nicht die Aufnahmegeschwindigkeit des Polders. Ingelheim kan 50 m³ pro Sekunde aufnehmen, wenn aber 75 m³ umgeleitet werden müssen, bleiben 25 m³ als höhere Pegel zurück.
Zur Berechnung:
Wir hatten 100 m³ pro Sekunde im Normalwasser. Vereinfacht gesagt ist das ein 50m breiter Fluß bei 2 Meter Wassertiefe. Jede Sekunde fließt das Wasser einen Meter weiter. Ok?
Die Deichkrone hängt bei 7,50 m. Da mit jedem cm auch die Deiche zusätzlich überproportional belastet werden, kann man nicht warten, bis das Wasser fast drüber schaut, sondern muss schon vorher anfangen die "Spitze" abzufedern und auch länger, weil sonst, wie derzeit, die aufgeweichten Deiche später brechen (und nicht überflutet werden).
Auch hier etwas vereinfacht, sagen wir, dass Hochwasser soll bei 7m gehalten werden, weil auch dort der Polder anfängt zu arbeiten, erwartete Spitze 8m. Durch das regelmäßige Ansteigen und Abfließen des Wassers haben wir eine durchschnittliche Höhe von 7,50m.
Das wäre also ein halber Meter, auf 50m Breite = 25m³ pro Sekunde, die für den Zeitraum abgeschöpft werden muss, die das Hochwasser über 7m ist. Das sind jetzt für
jede Minute: 1.500 m³
jede Stunde: 90.000 m³
jeder Tag: 2.160.000 m³
Nur um die Spitze abzufangen wäre der Ingelheimer Polder nach etwas über 2 Tagen trotdem voll...das kritische, wenn man es am Rhein so nennen darf im Vergleich, Hochwasser dauert jetzt gut 5 Tage.
Wenn man jetzt sagt, es steigt in der Spitze nur bis 7,50, hätte man nicht ganz vier Tage. Gleiches würde gelten, wenn man den Polder erst exakt an der Deichkrone öffnen könnte und dann die Spitze bei 8m beläst.
Und jetzt das Ganze mal mit etwas mehr Realität.
Die Mulde - 100m³ pro Sekunde Wasserdurchsatz, entspricht ungefähr unserem Model unter den gegeben Prämissen (Breite, Tiefe, Wasser fließt mit einem m pro Sekunde). Jetzt reden wir hier aber nicht über einen Anstieg wie oben im Rechteck, dann wären wir bei 7 m ja "nur" auf einem Durchsatz von 350m³ pro Sekunde - wir sind bei 1.800 m³ (geschätzten). Der Durchsatz pro cm Anstieg ist ja sehr deutlich überproportional, weil sich das Wassser naturgegeben ja nicht in einem Rechteck befindet, mit senkrechten Wänden, sondern nach oben hin sich mehr oder minder deutlich verbreitert. Die Spitze, die zu kappen wäre, wären also kaum 25m³ sondern erheblich mehr. Ich denke selbst 100m³ pro Sekunde wären sehr optimistisch und würde nur reichen wenige cm Spitze zu nehmen.
Dann hätten wir für 24 h 8,6 Mio m³ die an die Seite müssten.
Auch hier im Vergleich zum Polder Ingelheim, bräuchte man schon gut über 2 km² die man vier Meter unter Wasser setzen kann. FÜR EINEN TAG Hochwasser, von denen wir hier aber gar nicht reden können. Für sagen wir drei Tage und auch das wäre optimistisch, bräuchten wir entweder das dreifache an Tiefe oder die dreifache Fläche...die dafür geeignet sein muss.
- also nah am Fluß,
- entsprechend unter (!) der Wasserlinie
- als Hochwasserrückhaltebecken (aktives) unbewohnt, ohne wesentliche Infrastruktur.
Finde das mal in einem Land wo nahezu jeder km² irgendwie besiedelt ist.
Also, wie Du siehst, auch wenn es hier nur um die Spitze geht, die man abmildern möchte um "sicher" zu bleiben, ist das nicht so ganz einfach. Schon gar nicht, wenn wir hier über außergewöhnlich hohe Hochwasser reden und nicht über den normalen Standard.
Nur mal so als weiteres Größenbeispiel. Nehmen wir an von den 1.800 m³ Wasser pro Sekunde müssten 300 m³ umgeleitet werden um ein halbwegs akzeptables Risiko zu erhalten, wo Dämme evtl. nicht gesprengt werden müssen, die restlichen Flutgebiete es schaffen und die Dämme auch bei längerer Belastung nicht zu sehr aufweichen und brechen...und diese natürlich nicht Gefahr laufen überspült zu werden. Dann wäre die Möhnetalsperre (ca. 133 Mio m³), ein wirklich imposanter See von über 1.000 ha (bei durchschnittlich 35-37m Tiefe) innerhalb von vier Tagen voll.
Lange Rede, kurzer Sinn.
Hochwasserrückhaltebecken und Bedarfsüberflutungsgebiete sind ein wichtiger Bestandteil des Hochwasserschutzes und haben ihren festen Platz und sollten natürlich wo möglich ausgeweitet werden. Da wir hier aber nicht von größeren Badewannen reden, sondern von gigantischen Wassermengen, müssen wir entweder riesige Polder haben oder viele davon. Das wiederum ist in einem besiedelten Land wie dem unseren, wo man dann auch noch spezielle geographische und geologische Bedingungen für einen Polder braucht, nicht so einfach. Das alleine wird nicht reichen.
Grüße
Piety
Zum Schluss noch ein Globaler Blick, Japan Tsunami, Amerika Twister, China Erdbeben, usw. usw. Es häuft sich die letzten Jahre die Natur zerstört immer wieder den Lebensraum von vielen Menschen oder ist es umgekehrt?
Hier muss man vielleicht vorsichtig sein. Solche Katastrophen gab es auch früher recht regelmäßig, nur hat man
a) weniger darüber berichtet (nicht jeder lief mit einer Kamera durch die Gegend)
b) gab es insgesamt weniger Menschen/ Gebäude/ Straßen etc. die Schaden nehmen konnten. Wieviel Menschen, nur mal Deutschland, sind denn in den letzten 30 Jahren in "billigere" Häuser in Überflutungsgebiete gezogen? Direkt bei uns, quatsch, bei meinen Eltern, 150 m weiter, ist ein kleiner Bach. Kaum zwei Meter breit, im Schnitt vielleicht 50-75 cm tief. Alle ältern Häuser (Baujahr bis ca. 1970) sind mit soviel Abstand gebaut worden, dass nichts passieren kann. Jetzt hat man ein ganz neues Siedlungsgebiet freigegen, in einer Senke, direkt am Bachlauf. Aufgrund von "Hochwassergefahren" (bei starken Gewittern) darf dort nur mit Wanne gebaut werden.... eine Versicherung dort kann man nicht erhalten. Und trotzdem stand bei einigen schon das Wasser im Keller bzw. im Wohnzimmer und das Geschrei war groß... Es gab Schäden, teilweise mehrere tausend pro Haus. Meiner Meinung nach auch selbstgemacht.
c) sollte man auch hier an "Inflation" denken. Das gleiche zerstörte Gebäude würde heute mit mehr monetärem Schaden bewertet als noch vor 20 Jahren.
Auch das heutige Hochwasser in Deutschland ist ein WETTERphänomen und kein KLIMAphänomen und gab es, wie wir ja selbst aus den Medien entnehmen können, schon vor hunderten von Jahren. Lange vor dem menschengemachten Klimawandel.
Sicherlich sollte man sich klar machen, dass anscheinend, zumindest laut vielen Wissenschaftlern, Extremwetter zunehmen (was übrigens nicht für Tsunamis oder Erdbeben gilt, die haben nicht zugenommen statistisch) aber wir müssen uns auch immer mal wieder darüber klar werden, was statistisch korrekt ist und was nur aufgrund geänderter Lebensverhältnisse (Medien, Siedlungen, Bebauungen etc.) uns bewusster wird bzw. dadurch zustande kommt.
Wenn wir eben alles zubauen, begradigen, bereinigen, vertiefen etc. um wirtschaftlich nutzbares Land bzw. Wege zu haben, dann müssen wir uns nicht wundern, dass der Schaden dann bei Hochwasser auch steigt und diese evtl. auch öfter vorkommen.